15.10.2020 - 07:40

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Radfahrern und Fußgängern?

Mit dieser Frage beschäftigen sich die Partner KIT, HLRS und ADFC im Verbundprojekt „Cape Reviso“. Dabei geht es um eine methodisch neuartige Bestandsaufnahme sowie um neue Instrumente für eine evidenzbasierte, konfliktvermeidende Stadtplanung, die auch die Innensicht der Verkehrsteilnehmer berücksichtigt.

Der urbane Verkehrsraum ist ein knappes, an seinen Schnittstellen oft umkämpftes Gut. Wir kennen vermutlich alle die Diskussionen drumherum. Wie es um das Verhältnis zwischen Fuß- und Radverkehr steht, will nun das Verbundprojekt „Cape Reviso“ herausfinden. Gemeinsam wollen das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) und der Allgemeine Deutsche Fahrradclub e. V. (ADFC) eine methodisch neuartige Bestandsaufnahme sowie neue Instrumente für eine evidenzbasierte, konfliktvermeidende Stadtplanung entwickeln. Dabei soll es die in der Karlsruher „Urban Emotions“-Initiative gebündelte Expertise ermöglichen, die Innensicht der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu berücksichtigen.

Ein kombinierter Geh- und Radweg, eine Bushaltestelle, an der Radfahrerinnen und Radfahrer schnell vorbeifahren: Schnittstellen zwischen den Mobilitätsformen Gehen und Radfahren gibt es viele – und nicht wenige sind gefahrenträchtig. Wie die Verkehrsräume unserer Städte angelegt werden können, damit man sich weniger „in die Quere“ kommt, ist die Leitfrage des jetzt gestarteten Verbundprojekts „Cape Reviso“ (Cyclists And PEdestrians on REal and VIrtual Shared rOads).

Über Sachverhalte, welche die Straßenverkehrsordnung oder Effizienzrechnungen erfassen, soll dieser Ansatz deutlich hinausgehen: „Neben Faktoren wie Kosten und Wegzeit hängt die Wahl des Verkehrsmittels davon ab, ob Mobilität als angenehm oder unangenehm empfunden wird“, sagt Dr. Peter Zeile, vom Institut für Entwerfen von Stadt und Landschaft (IESL) des KIT. „Großen Einfluss darauf haben Konflikte entlang des Weges und subjektiv empfundener Stress, etwa bei den von keiner Statistik erfassten Beinahe-Zusammenstößen. Zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs ist es wichtig, die Konflikte, die besonders schwache Verkehrsteilnehmer erleben, zu reduzieren.“

Das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit Mitteln des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) geförderte Projekt begegnet diesem Problem zunächst mit einer methodisch neuartigen Bestandsaufnahme: Mit Abstandssensoren ausgestattete Radfahrer identifizieren jene Stellen, an denen Autofahrer beim Überholen die vorgeschriebenen Sicherheitsdistanzen unterschreiten. An diesen Hotspots erfasst und analysiert sodann ein vom Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) entwickeltes, KI-gestütztes Kamerasystem das komplexe Verhalten der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Emotionen

Die Analyse der Innensicht ist das Terrain von KIT-Forscher Peter Zeile. In der von ihm mit ins Leben gerufenen „Urban Emotions“-Initiative ermitteln der Stadtplaner und sein Team, wie die Probandinnen und Probanden des Projekts – zu Fuß bzw. per Fahrrad – sich im alltäglichen Verkehrsgeschehen fühlen. Die Abstandsmessungen verknüpfen die Karlsruher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Daten aus Stresssensoren und GPS-Trackern sowie aus Befragungen. Ihr Ziel ist es, diese zunächst ganz unterschiedlichen Erhebungen mittels einer App zu Visualisierungen mobilitätsbedingter Emotionen, sogenannten Heatmaps, zusammenzuführen. „Was Verkehrsplaner vernünftig finden“, so Zeile, „deckt sich nicht zwingend mit der Wahrnehmung einzelner Verkehrsteilnehmer oder bestimmter Gruppen von Verkehrsteilnehmern wie Kindern oder Senioren. In ‚Cape Reviso‘ verfolgen wir beide Perspektiven – und nehmen beide ernst.“

In einem zweiten Handlungsstrang des Projekts werden die Befunde der Bestandsaufnahme in Anwendungen erweiterter und virtueller Realität überführt. In einer interaktiven virtuellen Umgebung (CAVE) des HLRS wollen die Forschenden herausfinden, wie die zuvor identifizierten Reibungspunkte zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern entschärft werden können – etwa durch das Anlegen von geschützten Radfahrstreifen oder eine generelle Veränderung der Verkehrsführung. Als Referenzort dient hier die Stadt Herrenberg, die seit 2018 als virtuelles Modell vorliegt.

In seiner Schlussphase soll das Projekt ins reale Verkehrsgeschehen zurückkehren. Dabei funktionieren die Projektpartner ausgewählte Areale in baden-württembergischen Städten zu „Living Labs“ um, unter anderem in der Landeshauptstadt Stuttgart. Dort sollen die virtuell entwickelten Ideen für ein konfliktfreieres Miteinander vor Ort erprobt werden. Für das dreijährige Vorhaben wollen die Cape Reviso-Akteure den Kommunen einen Instrumentenkoffer an die Hand geben, der mit einem Prototypensystem zur Verkehrserfassung, Softwarekomponenten für Verkehrssimulationen in der virtuellen Realität sowie mit einer Bürgerbeteiligungs-App innovativ bestückt ist und der verkehrsplanerischen Entscheidungen der Zukunft eine neue Grundlage gibt.

Bild: Peter Zeile, KIT

Autor: jst

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