Hamburger Hafencity – maximale Komplexität für HEAT
Interview mit Matthias Kratzsch, Geschäftsführer Technik IAV
Das Hamburger Forschungsprojekt HEAT bringt wieder sein fahrerloses Shuttle auf die Straße. Wir haben ein Interview geführt mit Matthias Kratzsch, Geschäftsführer Technik bei der IAV, die für die Gesamtfahrzeugentwicklung und die im Shuttle integrierten Technologien für das Autonome Fahren verantwortlich zeichnet.
Der Probebetrieb mit Fahrgästen in der HafenCity der Hansestadt läuft zunächst vom 23. Oktober bis zum 30. November 2020. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 25 km/h soll das autonom fahrende Shuttle auf dem rund ein Kilometer langen Abschnitt der Teststrecke unterwegs sein. Die Umsetzung des Projektes erfolgt in drei Phasen, in denen sukzessive der Grad der Automatisierung erweitert wird. In Phase 1, im Jahr 2019, begann die Erprobung des Fahrzeugs auf einem ausgewählten Abschnitt der Teststrecke samt Fahrzeugbegleiter und ohne Fahrgäste mit einer zugelassenen maximale nGeschwindigkeit von 15 km/h. In der nun gestarteten Phase 2 sind Fahrzeugbegleiter und Passagiere an Bord und das Fahrzeug fährt bis zu 10 km/h schneller. 2021 geht HEAT in Hamburg in die finale Erprobung und damit in die dritte Phase.
Zum aktuellen Stand des Projektes, konnten wir ein Interview mit dem Geschäftsführer Technik bei der IAV, Matthias Kratzsch, führen.
Herr Kratzsch, HEAT geht wieder auf die Straße – was sind die wesentlichen Erkenntnisse aus dem bisherigen Projektverlauf?
Uns war von vornherein bewusst, dass wir uns mit der Hamburger Hafencity mit Rush-Hour, Lieferverkehr, Rad- und Fußgängern eine enorm komplexe Verkehrssituation für ein autonomes Fahrzeug ausgesucht hatten. Die bisherigen Tests in Hamburg haben bestätigt, dass sich die Komplexität der Hafencity mit dem gewählten Projektansatz am besten beherrschen lässt – nämlich mit einem Zusammenspiel aus Fahrzeug mit AD-Technik, streckenseitiger Infrastruktur-Sensorik und einer Leitstelle.
Wir verwenden hochauflösenden Karten und führen die Informationen der Infrastruktur-Sensorik, Karten- und Ampeldaten für eine möglichst exakte Umgebungsrepräsentation zusammen. Damit ist es uns gelungen, das Shuttle zu einem vollwertigen Teilnehmer des Verkehrs in der Hafencity zu machen. Das haben auch zahlreiche Tests in den vergangenen Wochen nochmal bestätigt. Und damit ist es nun bereit für den Fahrgastbetrieb.
Sie sprechen es an: Jetzt geht es in den offenen Straßenverkehr mit Passagieren – welche Herausforderungen muss das Shuttle zukünftig meistern?
Die Herausforderungen betreffen weit weniger die Technik als vielmehr die Kommunikation zwischen Shuttle und Fahrgästen. Dass das Shuttle sicher durch die Hafen City fahren kann, haben wir in zahlreichen Tests bewiesen. Sonst könnten wir auch nicht in die nächste Phase mit Fahrgästen starten.
Unsere Entwickler haben täglich mit dem Shuttle zu tun. Sie überrascht es auch nicht, wenn das Shuttle mal stärker bremsen muss, weil ein anderer Verkehrsteilnehmer etwa das Shuttle schneidet. Fahrgäste hingegen müssen wir im Vorfeld vorbereiten und sie für solche Situationen sensibilisieren. Dazu haben wir extra eine App entwickelt, mittels derer die Fahrgäste sich registrieren und die Beförderungsbedingungen und Sicherheitshinweise studieren können. Darüber hinaus wird weiterhin ein geschulter Fahrzeugbegleiter im Fahrzeug sein, der die automatisierte Fahrt überwachen und bei Bedarf noch eingreifen kann.
Wie musste dafür das Fahrzeug für diesen Teil des Forschungsprojektes angepasst werden?
Wir hatten in den vergangenen Monaten im Kern zwei Aufgaben vor der Brust. Zum einen das Zusammenspiel zwischen Fahrzeug und Infrastruktur zu perfektionieren. Das Shuttle erhält seinen Streckenplan inklusive der zu bedienenden Haltestellen künftig von der Leitstelle, die straßenseitige Infrastruktur liefert zusätzliche Daten über das Geschehen auf der Straße. Zum anderen mussten wir für die Testphase nun auch weitere Belange der StVZO und der Anforderungen eines ÖPNV-Betreibers wie HOCHBAHN berücksichtigen. Dabei ging es zum Beispiel um den Einbau einer Rampe für Rollstühle und die Integration von Kommunikationseinrichtung (visuell und akustisch) zwischen den Fahrgästen und der Leistelle. Kurz: Das Fahrzeug auf die Mitnahme von Fahrgästen vorbereiten.
Aktuell liest man häufiger, das autonome Fahren wird doch länger dauern. Ist das die typische Abkühlung nach einem Hype oder wird es wirklich länger dauern?
Von einer generellen Abkühlung würde ich nicht sprechen. Das Projekt HEAT zeigt ja eindrucksvoll die Sprünge in der Entwicklung. Aber ich glaube, dass Entwickler weltweit in den vergangenen Monaten und Jahren feststellen mussten, dass die Komplexität des Verkehrsraums abseits der Autobahn extrem hoch ist. Die Entwicklung für solche Einsatzszenarien ist aufwendig und auch die Validierung nimmt viel Zeit in Anspruch. Eine weitere Hürde ist, dass hierzulande nach wie vor ein gesetzlicher Rahmen mit verbindlichen Grundlagen für Spezifizierung und Entwicklung fehlt. Deutschland will hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Ich hoffe deshalb sehr, dass wir demnächst ein verabschiedetes Gesetz sehen werden.
HEAT ist ein Projekt verschiedenster Partnern – was trägt die IAV zum Gelingen des Ganzen bei?
Wir sind verantwortlich für die Gesamtfahrzeugentwicklung des Shuttles. Dazu zählt auch die Entwicklung und Integration der Technologie für das autonome Fahrzeug. Wir zeigen damit, dass wir genau der richtige Ansprechpartner für derartige Herausforderungen sind. Das Shuttle ist die Schnittstelle zum Fahrgast, und gemäß der aktuellen Gesetzgebung auch das System, welches eine offizielle Zulassung für den Betrieb auf öffentlicher Straße benötigt. Darüber hinaus bringen wir die in der Automobilentwicklung bewährten Entwicklungsprozesse auch in die HEAT Entwicklung ein. Letztendlich ist es aber wie bei jedem Projekt: HEAT kann nur mit starken Partnern gelingen. Wir sind deshalb sehr froh darüber, Teil eines engagierten Entwicklungskonsortiums zu sein und mit unserem Shuttle zum Erfolg des Projekts beitragen zu dürfen.
Wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview. Mehr zum Forschungsprojekt HEAT und wie man in Zeiten von Corona einen autonomes Shuttle in einer Großstadt testet, das lesen Sie hier >>
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