16.11.2020 - 08:58

BMWs neue Fahrsimulatoren

Neue Maßstäbe bei der Fahrsimulation setzt BMW mit seinem neuen Fahrsimulationszentrum (wir berichteten), das über 14 Simulatoren und Usability Labore auf 11.400 m² Fläche verfügt. Von der frühen Konzeptphase bis zur finalen Funktionsabsicherung soll das Zentrum den unterschiedlichen Fachbereichen der Fahrzeugentwicklung das optimale Simulationstool bieten. Einblicke gibt die #NEXTGen 2020.

Mit dem neuen Fahrsimulationszentrum schafft sich die BMW Group für ihre Fahrzeugentwicklung und -Forschung alle Möglichkeiten, um die Produktanforderungen der Zukunft realitätsgetreu zu testen und zu simulieren. Mit 14 Simulatoren und Usability Laboren auf 11.400 m² Fläche ist es das modernste und vielseitigste Simulationszentrum in der Automobilindustrie.

Michael Brachvogel, Leiter BMW Group Forschung Interieur, User Interaction, User Experience und Fahrsimulation: „Das Ziel des neuen Zentrums ist es, für jeden Bereich sowie für jede Phase der Fahrzeugentwicklung das optimale Simulations-Tool unter einem Dach zu bieten.“ Auch die Kundenzentrierung in der Entwicklung wird auf eine ganze neue Ebene gehoben. „Wir können mit bis zu 100 Probanden am Tag Tests für Studien absolvieren“, so Brachvogel.

Von der frühen Konzeptphase bis zur finalen Funktionsabsicherung bietet das Zentrum den unterschiedlichen Fachbereichen der Fahrzeugentwicklung das optimale Simulationstool. Dabei reicht die Bandbreite von statischen Simulatoren ohne Bewegungssystem bis hin zum High Fidelity Simulator, der auf einer Bewegungsfläche von fast 400 m² ‚die Straße realitätsgetreu in das Labor holt‘. Neue Entertainment Technologien und Anzeige-Bedien-Konzepte, multimodale Interaktion zwischen Insassen und Fahrzeug, Feinheiten der Fahrwerksabstimmung sowie weitreichende Fahrerassistenzfunktionen bis hin zu Innenraumszenarien beim vollautomatisierten Fahren – nahezu jeder Aspekt der Automobilentwicklung kann hier auf Kundentauglichkeit getestet werden. Die virtuellen Erprobungsfahrten werden nicht nur von Ingenieuren der BMW Group, sondern regelmäßig auch von externen Versuchspersonen absolviert werden. „Das neue Fahrsimulationszentrum leistet einen enormen Beitrag für die kundenzentrierte Produktentwicklung. Wir können zu jedem Zeitpunkt direktes Kundenfeedback in die Entwicklung einbeziehen“, so Michael Brachvogel.

Virtuelle Erprobung

Bei der BMW Group hat die Fahrsimulation für den Entwicklungsbereich Fahrdynamik schon seit Jahren eine tragende Rolle. Mit dem neuen Fahrsimulationszentrum kann der virtuelle Entwicklungsprozess noch ausgeweitet und damit die Anzahl von Prototypenfahrzeugen sowie die Dauer des Entwicklungsprozesses reduziert werden. Im Fahrsimulator können innerhalb von Sekunden Reifen oder ganze Achsen getauscht und Erprobungsstrecken auf der ganzen Welt per Knopfdruck ausgewählt werden. Selbst der Übergang von Sommer auf Winter ist nahtlos möglich. Alle Einflussfaktoren können in der Simulation mit hoher Wiedergabetreue dargestellt werden. „Sowohl in der frühen Entwicklungsphase als auch in der Absicherungsphase sind alle Nuancen, die das BMW typische Fahrgefühl bestimmen, in den hochmodernen Simulatoren erlebbar“, so Thomas Lachner, Experte für Fahrsimulation in der Fahrdynamik-Entwicklung.

Das neue Fahrsimulationszentrum erfüllt auch die stetig steigenden Anforderungen an die Entwicklung hochvernetzter und intelligenter Fahrzeuge in idealer Weise. Neue Anzeige- und Bedienkonzepte können intensiv getestet werden, um die Gefahr einer Ablenkung für den Fahrer oder die Wirkung der multimodalen Bedienungsmöglichkeiten zu analysieren. „Mithilfe ausführlicher Tests in der Fahrsimulation können wir unsere Systeme so auslegen, dass unsere Kunden im Fahrzeug die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort erhalten – und das alles auf möglichst einfache und intuitive Weise, in jeder denkbaren Fahrsituation“, so Marion Mangold, Teamleiterin Gestaltung User Interaktion.

Gerade für die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen und Automatisierungs-funktionen der Zukunft bietet die Fahrsimulation große Vorteile. Sowohl kritische Verkehrssituationen als auch im realen Verkehr selten auftretende Situationen lassen sich kaum gezielt auf der Straße erproben. Im Simulator können sie in sicherer Umgebung und mit großer Detailschärfe beliebig häufig nachgestellt werden. Einzelne Aspekte des jeweiligen Szenarios lassen sich zudem beliebig variieren und miteinander kombinieren. So können die komplexen Systeme noch vor der ersten Erprobung auf der Straße unter verschiedenen Bedingungen realitätsgetreu getestet werden. „Wir bereiten die Einführung unserer Fahrassistenzfunktionen mit äußerster Gründlichkeit vor. Die Fahrsimulation trägt wesentlich dazu bei, dass wir für unsere Kunden die bestmöglichen und sichersten Produkte entwickeln können“, so Manuela Witt, Mitarbeiterin Gebrauchssicherheit und Wirksamkeitsanalyse.

Dank eines Anlagenkonzepts mit innovativem Transport- und Andocksystem können alle Simulatoren bei Bedarf am gleichen Tag mit verschiedenen Fahrzeugmodellen genutzt werden. Damit gewinnt das Zentrum hohe Flexibilität für alle Entwicklungsfachbereiche und ermöglicht maximale Auslastung.

Seamless Simulator Experience

Um ein noch realistischeres Simulationserlebnis für die Probanden zu bieten und damit validere Ergebnisse erzielen zu können, haben die Fahrsimulations-Experten der BMW Group die Seamless Simulator Experience konzipiert (nahtloses Simulationserlebnis). Bei ausgewählten Studien werden Probanden künftig den Weg zum Simulator mit einer VR-Brille absolvieren. So befinden Sie sich z. B. in einem virtuellen BMW- oder MINI-Handelsbetrieb. Auf dem Parkplatz vor dem virtuellen Handelsbetrieb wartet das Fahrzeug für die Probefahrt. Während der Proband durch den virtuellen Raum geht, bewegt er sich im Fahrsimulationszentrum auf den Fahrsimulator zu. Erst unmittelbar vor dem Simulator wird die VR-Brille abgenommen und der Proband steigt in den Simulator ein. „Mit der Seamless Simulator Experience erreichen wir ein sehr hohes Maß an Immersion. Das heißt, die Studienteilnehmer können deutlich stärker in die Fahrsituation eintauchen, wodurch wir wiederum sehr valide und belastbare Ergebnisse für die Optimierung unserer Kundenfunktionen erhalten“, so Martin Peller, Projektleiter des Fahrsimulationszentrums.

Hightech in beeindruckendem Maßstab: Der High Fidelity und der High Dynamic Simulator.
Der High Fidelity (= hohe Wiedergabetreue) und der High Dynamic (= hohe Dynamik) Simulator sind die optischen und technologischen Highlights des neuen Fahrsimulationszentrums. Sie schaffen Erprobungsbedingungen, die bislang nur mit realen Testfahrzeugen auf der Straße erlebbar waren. Bei der gezielten Optimierung innovativer Kundenfunktionen bietet die Erprobung im Labor zudem den Vorteil, dass ausgewählte Fahrsituationen beliebig häufig reproduzierbar sind. Dadurch wird die Aussagekraft der ausgewerteten Testergebnisse wesentlich erhöht. Darüber hinaus lassen sich im Fahrsimulator auch Testszenarien durchspielen, die im realen Verkehrsgeschehen nur selten und unter ungewöhnlichen Umständen auftreten oder die mit Gefährdungen verbunden wären und daher im realen Verkehrsgeschehen nicht zu Erprobungszwecken herbeigeführt werden können. Im Gegenzug können Erkenntnisse aus Testfahrten auf der Straße durch eine realitätsgetreue Simulation im Labor überprüft und abgesichert werden.

Der High Fidelity Simulator:

  • Entwicklungsfokus: Kundenfunktionen in anspruchsvollen, z. B. innerstädtischen Fahrsituationen.
  • Gleichzeitige Längs-, Quer- und Drehbewegungen möglich.
  • Beschleunigung bis zu 0,65 g
    (annähernde Beschleunigung einer BMW M3 Limousine: 4,2 Sek. von 0-100 km/h).
    [353 kW/480 PS, Kraftstoffverbrauch kombiniert: 10,8 l/100 km; CO2‑Emissionen kombiniert: 248 g/km.*]
  • Knapp 400 m² Bewegungsfläche.
  • Mehr als 10 Meter Systemhöhe.
  • Rund 83 Tonnen bewegte Masse.
  • Benötigte elektrische Spitzenleistung: bis zu 6,5 MW.

Besonders detailliert wird das reale Fahrgeschehen im High Fidelity Simulator abgebildet: Das Abbremsen und Beschleunigen in Kurven, Fahrten im Kreisverkehr oder die schnelle Abfolge mehrerer Abbiegemanöver können auf dem fast 400 Quadratmeter großen Bewegungsfeld dieser Anlage mit hoher Präzision nachempfunden werden. So sind erstmals auch komplexe Situationen des innerstädtischen Verkehrs, die für Systeme des automatisierten Fahrens besonders vielfältige Herausforderungen mit sich bringen, unter Laborbedingungen darstellbar.

Der High Dynamic Simulator:

  • Entwicklungsfokus: Kundenfunktionen in hochdynamischen Fahrsituationen.
  • Hochdynamische Längs- und Querbeschleunigung bis zu 1,0 g
    (Beschleunigung wie im Formel E BMW iFE.20: knapp 2,8 Sek. von 0 auf 100 km/h).
  • 21 Meter Schlittenlänge.
  • Rund 23 Tonnen bewegte Masse.
  • Mehr als 9 Meter Systemhöhe.
  • Benötigte elektrische Spitzenleistung: bis zu 3 MW.

Mit dem neuen High Dynamic Simulator lassen sich Längs- und Querbeschleunigungen von bis zu 1,0 g erzeugen. Er dient bei der Erprobung neuer Systeme und Funktionen zur Darstellung von hochdynamischen Ausweichmanövern, Vollbremsungen und intensiven Beschleunigungsvorgängen.

Die Längs- und Querbewegungen beider Simulatoren werden durch ein ausgefeiltes System aus Rädern und Schienen realisiert, das auf Fahrereingaben wie Lenkbewegungen praktisch verzögerungsfrei reagiert. So werden im Simulator die Feinheiten erlebbar, die die Freude am Fahren in einem BMW ausmachen. Dies gelingt durch den Einsatz linearer Elektromotoren, die keine beweglichen Teile haben. Diese Elektromotoren bewegen sich über eine Reihe von Magneten mit schnell alternierenden Polen, um die erforderlichen Kräfte zu erzeugen. Vergleichbare Technologie wird in Hochgeschwindigkeits-Zügen mit Magnetschwebetechnik eingesetzt. Sogenannte Super-Kondensatoren stellen die benötigte Spitzenleistung für das Bewegungssystem in Sekundenbruchteilen bereit. Über Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung) kann das Bewegungssystems wiederum Energie in die Superkondensatoren einspeisen.

Die Tests finden in einer als Dom ausgeprägten Plattform des Fahrsimulators statt. Dort werden die zu erprobenden Systeme in einem fest montierten Fahrzeugmodell installiert. Der Dom ist auf einem elektromechanischen Hexapod-System gelagert und kann über einen weiteren elektrischen Antrieb sowohl in Längs- als auch in Querrichtung bewegt werden. Im Dom steht das Fahrzeugmodell auf einem Drehteller, um zusätzlich Drehbewegungen zu ermöglichen.

Um den Fahrern auch optisch ein realitätsnahes Bild der simulierten Verkehrssituation zu vermitteln, wird im Dom die Umgebung in 360 Grad projiziert. Eine präzise Synchronisierung der darauf projizierten Darstellungen des Verkehrsgeschehens mit den Bewegungen des Fahrzeugmodells sorgt für eine sehr realitätsnahe Wahrnehmung der simulierten Fahrsituation, in der die optischen Eindrücke und die auf die Testperson einwirkenden Längs-, Quer- und Vertikalbeschleunigungen zu einem dynamischen nahezu perfekten Gesamteindruck verschmelzen. Komplettiert wird das virtuelle Testfahrt-Szenario von einer ebenfalls exakt auf die nachgestellte Situation abgestimmten Geräuschsimulation. Die Probanden betreten das Fahrzeug in dem Dom über eine Gangway, vergleichbar mit dem Zugang zu einem Flugzeug.

Auf dem Gelände des Forschungs- und Innovationszentrums FIZ im Norden Münchens begann Mitte August 2018 der Bau der weltweit modernsten Anlage zur Simulation realer Fahrsituationen. Trotz der weltweiten, massiven Einschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie konnte das Gebäude Mai 2020 gemäß ursprünglicher Planung fertiggestellt werden. Seither läuft die Installation der Simulatoren auf Hochtouren.

Vor allem für die Entwicklung und Erprobung von Fahrerassistenzsystemen sowie von Anzeige- und Bedienkonzepten sind moderne Fahrsimulatoren zu einem unverzichtbaren Instrument geworden. Sie ermöglichen es, die Funktionalität und Praxistauglichkeit neuer Systeme bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium ausführlich zu testen. Der Fahrsimulator dient als Bindeglied zwischen den Funktionstests für einzelne Hardware- und Software-Komponenten und dem Fahrversuch mit vollständigen Systemen auf der Straße. Die BMW Group verfügt über langjährige Erfahrung bei der Nutzung derartiger Anlagen. Schon zu Beginn der 1990er-Jahre wurde die Entwicklung von BMW Automobilen durch den Einsatz von statischen Fahrsimulatoren unterstützt. Um das Geschehen auf der Straße noch detaillierter nachempfinden zu können, betreibt das Unternehmen darüber hinaus seit 2006 einen dynamischen Fahrsimulator. Um den steigenden Anforderungen an die Kapazitäten gerecht zu werden, wurde im Jahr 2016 im BMW Group Forschungs- und Technologiehaus in Garching zudem ein weiterer dynamischer Fahrsimulator eingerichtet.

Autor: jst

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16.11.2020 08:19