03.09.2020 - 10:56

Dr. Peter Vaughan Schmidt – was geht in Sachen automatisierter Lkws?

Dr. Peter Vaughan Schmidt

Im Frühjahr 2019 hatte Daimler Trucks einen Mehrheitsanteil an Torc Robotics erworben. Etwas mehr als ein Jahr später wollte Jens Stoewhase, Chefredakteur von intellicar.de wissen, wie man beim Daimler das Thema automatisiert fahrende LKW inzwischen sieht. 

Als Zielvorgabe damals wurde die Etablierung eines einzigartigen Technologieführers für automatisierte Lkw formuliert. Zuletzt zeigte sich jedoch im PKW-Segment eine gewisse Ernüchterung in Bezug auf automatisiertes Fahren. Dr. Peter Vaughan Schmidt, Leiter der Autonomous Technology Group Daimler Trucks, gab in einem Interview Auskunft darüber, wohin die Reise für den Lkw-Verkehr gehen kann und wo wohl auch die erste Markteinführung zu erwarten sein wird.

Herr Dr. Schmidt, steigen wir direkt ein: Wie lief denn das erste Jahr für Daimler Trucks und Torc Robotics?

B: Das erste Jahr lief wirklich sehr gut, obwohl es mit Corona nicht gerade unter leichten Vorzeichen stand. Beispielsweise hat das ganze Thema Zusammenarbeit im Team wirklich gut funktioniert. Wir hatten im Vorfeld ein gutes Gefühl, dass es mit Torc und Daimler gut zusammenpassen könnte – das hat sich im ersten Jahr auch absolut bestätigt: Das Zusammenspiel funktioniert zwischen den Standorten Portland, Blacksburg und Stuttgart – alle drei mit ihrer eigenen Ausprägung – ganz hervorragend. Obwohl wir wirklich einen ganz unterschiedlichen Background haben, aus verschiedene Kulturen kommen und in unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten.

Was war vielleicht zuerst keine Herausforderung, hat sich dann aber trotzdem als solche herausgestellt?

Dr. Peter Vaughan Schmidt: Was wegen Corona kurzzeitig etwas schwieriger war, war dass man sich erst einmal nicht mehr in persona getroffen hat. Aber wir haben jetzt eine sehr gute und intensive digitale Kommunikation aufgebaut, um das auszugleichen. Das ist wie immer im Leben. Bei Herausforderungen muss man möglichst oft miteinander sprechen und die Themen lösen. Dann passt es.

Es wird in New Mexiko einen neuen Standort für die weitere Entwicklung geben. Was passiert da und warum braucht es noch einen weiteren Standort? Warum hätte man den bisherigen US-Standort nicht einfach erweitern können?

Dr. Schmidt: Grundsätzlich entwickeln und bauen wir in Portland das Fahrzeug, in Blacksburg entwickeln wir die Software und in Stuttgart nutzen wir die Synergien in den Konzernreihen und legen die Gesamtperspektive fest. Jetzt ist das Thema automatisiertes Fahren ein Thema, das Sie testen müssen. Sie können nicht alles simulieren. Sie können nicht alles nur auf dem Testtrack machen, obwohl wir beides machen und gerade in Coronazeiten intensiviert haben, insbesondere das Thema Simulation. Aber Sie müssen auf die Straße. Da sind wir bislang in Virginia gefahren. Mehr oder weniger vor der Haustür von Torc. In New Mexiko, im Südwesten der USA werden wir keine Software entwickeln, sondern diese mit unserer Testflotte auf der Straße erproben.

Ein wichtiger Grund für New Mexico: Sie haben dort Wüste. Das klingt erst mal komisch. Aber Wüste ist für ein automatisiertes Fahrzeug gar nicht so leicht, weil es weniger Orientierungspunkte gibt, an denen die Fahrzeuge feststellen können, wo sie sich genau befinden.

Im Gegensatz dazu ist in einer Stadt oder in einer Umgebung mit sehr viel Infrastruktur immer eine Brücke, ein Baum, ein Verkehrsschild. Diese vielen Informationen können abgeglichen werden. Das Ganze in einer Umgebung mit wenigen Informationspunkten hinzubekommen ist so ein typisches Beispiel, was wir in New Mexiko testen können.

Und dann repräsentiert New Mexiko die Zielregion, in der wir die Technologie zuerst in den Markt bringen wollen: der Südwesten der USA. Dort gibt es viel Frachtvolumen, lange Strecken und hervorragende klimatische Bedingungen – schlechtes Wetter oder gar Blitzeis ist ziemlich selten. Es macht Sinn, dass man die Tests auch in der Umgebung durchführt, in der wir das Produkt unseren Kunden später anbieten werden.

Wir wollen das System in der echten Umgebung erproben. Die Strecken müssen schließlich auch gemappt werden. Unsere Experten messen wirklich millimetergenau jedes Detail der Straße und der Umgebung, sodass das automatisierte System nicht mehr alles neu berechnen muss und direkt auf die kartierten Daten zugreifen kann.

 

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Im Laufe der vergangenen 12 Monate hat sich zumindest beim PKW das Thema autonomes Fahren etwas nach hinten verschoben zugunsten einer größeren Aufmerksamkeit der Konzerne und Unternehmen für das Thema Elektromobilität. Wie ist das beim LKW zu erwarten?

Dr. Schmidt: Ich glaube, wir haben im LKW-Bereich einen echten Vorteil: Auf der einen Seite haben wir technisch ein einfacheres Problem im Vergleich zu einem automatisierten PKW, das wir lösen müssen. Denn das Fahren auf dem Highway passiert in einer deutlich strukturierteren Umgebung. Alle fahren in die gleiche Richtung. In den USA auch noch alle ungefähr mit der gleichen Geschwindigkeit. Die Überraschungen halten sich im Vergleich zu einer Stadt in Grenzen.

Insofern bleiben wir an dem Thema voll dran. Wir treiben die technologische Entwicklung mit Hochdruck voran. Wir haben die gleichen Mittel und Ressourcen zur Verfügung, wie vor Corona.

Wenn man in die autonome Szene hineinschaut, zieht Autonomous Trucking viel Kapital an und erfährt viel Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass wir mit unserer Einschätzung da nicht alleine liegen.

Was die Markteinführung anbetrifft, waren wir schon immer realistisch. Das passiert nicht über Nacht. Wir planen klein zu starten mit dem, was die Technik am Anfang sicher leisten kann.

Zu Beginn geht es um ein Hub-to-Hub-Konzept. Der Lkw fährt von einem Distributionscenter am Highway alleine auf und dann im Prinzip immer geradeaus bis zum nächsten Hub. Alles was kompliziert ist, macht weiterhin der Mensch. Den Verteilerverkehr, das Fahren innerhalb der Distributionscentern, das Kundeninterface.

Von da an werden wir die Technik Stück für Stück weiterentwickeln. Das wird eine Dekade dauern, bis die Technik in großem und relevantem Ausmaß die Logistikbranche nach und nach verändern wird.

Wenn wir jetzt von Markteinführung und Zeiten sprechen, gibt es schon aus Ihrer Sicht ein relevantes Jahr?

Dr. Schmidt: Unser Ziel ist hochautomatisierte Lkw (SAE Level 4) bis Ende der Dekade in Serie zu bringen . Darauf arbeiten wir zu. Zuvorsprechen wir aber auch von einer kleinen Testflotte von ein paar Dutzend Trucks die erste Strecken erproben. Wir wissen auch, wie wir unser System ausrollen wollen und wann wir wahrscheinlich einen größeren Produktlaunch haben können. Klar ist, er wird im Südwesten der USA stattfinden. Deswegen haben wir auch unser Testcenter in New Mexiko eröffnet.

Dabei müssen Sie auf der einen Seite die technischen Hürden überwinden, auf der anderen Seite braucht man die Akzeptanz der Kunden und der Gesellschaft. Auch die Regularien müssen klar sein. Und Sie brauchen verlässliche Hardware und da sprechen wir über Sensorik, die weit genug schaut, die robust genug ist und die auch in irgendeiner Form finanzierbar ist. Da gibt es gewisse Zeitpunkte in nicht mehr allzu großer Ferne, an denen diese Themen aus unserer Sicht gut zusammenkommen.

Wenn wir schon nicht über die Zeiten so genau sprechen, dann würde ich noch eins versuchen und zwar: Gibt es denn nach den USA oder dem Südwesten der USA für die Markteinführung schon Gebiete, die relativ klar sind und gibt es vielleicht welche, die nicht ganz so einfach sind? Ich denke da an Europa, wo man nicht tausend Kilometer oder fünfhundert Kilometer am Stück geradeaus fahren kann?

Dr. Schmidt: Wir haben in den USA eine recht gute Idee, was die ersten zwei- bis fünfhundert Meilen, die nächsten dreitausend Kilometer sind und wie wir das Stück für Stück ausweiten wollen. Dieses Ausweiten hängt direkt davon ab, wie die Leistungsfähigkeit unseres Systems für hochautomatisiertes Fahren zunimmt. Die Fähigkeit Landstraße zu fahren, die Fähigkeit im Schnee oder im Starkregen zu fahren. Das sind alles Themen, für die wir das System weiterentwickeln, trainieren, anlernen müssen. Und damit erschließt sich dann das Potenzial, weitere Strecken zu fahren.

Das wird, denke ich, nach dem Launch in den USA in Richtung Kanada und Mexiko kommen können. Dann haben Sie im Prinzip schon einen recht großen Umfang abgedeckt.

Europa ist ein superspannendes Umfeld. Aber da sind die Hürden schlicht und einfach noch mal etwas höher. Die hohe Verkehrsdichte, enge Straßen – im Vergleich zu den USA und Sie passieren eben auf tausend Meilen viele Grenzen. Die Regulatorik ist hier noch nicht so weit wie in den USA. Insofern wird Europa länger dauern. Es ist jedoch unser Ziel, dass nach den USA und Nordamerika, Europa die nächste Region für uns werden könnte.

Dr. Schmidt, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

Weitere Details finden Sie im kurz zuvor erschienenen Beitrag zum „Einjährigen“ von Daimler Trucks und Torc Robotics hier >>

Autor: jst

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