13.10.2022 - 09:13

Umsetzung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette endet nicht beim Anwendungsbereich des „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes“

Pandemie- und sanktionsbedingte Lieferengpässe und Preissteigerungen einerseits; gesetzliche Umsetzungen politischer Bestrebungen zur Nachhaltigkeit auf menschen- und umweltrechtlicher Ebene andererseits. Selten standen so viele brisante Themen auf der Agenda. Die gesamte Automotivebranche sieht sich einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüber, die nahezu zeitgleich mit derselben – hohen – Priorität bearbeitet werden wollen.

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Auch wenn die gesamte Branche von den Auswirkungen der Covid-Pandemie und des russischen Angriffskriegs betroffen und der Wunsch entsprechender Vertragsanpassungen bei allen Beteiligten nachvollziehbar ist: wer vertraglich vereinbarte Kapazitäten und Liefermengen verringern oder Preise erhöhen möchte, stößt oft auf Widerstand. Verträge sind zu erfüllen und nachträgliche Änderungen nur im Ausnahmefall zulässig, so das gesetzgeberische Leitbild.

Die Kompromissbereitschaft beider Seiten ist aus praktischen Gründen minimal, denn die Marktsituation bietet derzeit kaum Spielräume. Ersatzlieferanten oder -materialien sind nicht ohne Weiteres verfügbar. Deshalb wird mit harten Bandagen gekämpft. OEM verweisen auf die Pflicht zur Vertragserfüllung. Zulieferer halten mit dem Verweis auf „höhere Gewalt“, „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ und „Unmöglichkeit“ dagegen, während sie ihren Lieferanten den Druck der OEM weiterreichen. Die Kehrseite einer spezifischen und in hohem Maße interdependenten Lieferkette wird sichtbar.

Um bei der Allegorie eines Boxkampfes zu bleiben: ob die Betroffenen mit einem blauen Auge davonkommen oder einen Knock-out erleiden, hängt oftmals von einzelnen Vertragsklauseln ab. Ob Pandemien oder Angriffskriege beispielsweise einen Ausnahmefall darstellen, der zu einer Vertragsanpassung berechtigt, führt in den meisten Fällen zu der Frage , ob und inwieweit die Auswirkungen dieser Umstände vorhersehbar waren und anderweitig abgemildert werden konnten bzw. mussten. Wer vorausschauend gehandelt und eindeutige Regelungen getroffen hat, ist klar im Vorteil. Andernfalls bleibt meist nur eine einzelfallbezogene Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und deren kaufmännischer Folgen. Unabhängig von der konkreten Entscheidung im Einzelfall ist eine durchdachte, rechtssichere und transparente Kommunikation in Krisenzeiten jedoch essenziell.

Die akuten Herausforderungen im operativen Geschäft führen dazu, dass das Thema der Nachhaltigkeit und dessen unterschiedliche Ausprägungen vernachlässigt werden. Dabei stehen in diesem Bereich wesentliche Neuerungen an, die ebenfalls die gesamte Lieferkette betreffen. Das menschen- und umweltrechtsbezogene Risikomanagement will als Ausgangspunkt der Sorgfaltspflichten nicht nur erarbeitet und etabliert, sondern über vertragliche Verpflichtungen in die Lieferkette weitergegeben werden. Fehlende verlässliche Vorgaben und Standards bei gleichzeitig geforderter individueller Betrachtung erfordern den Einsatz wertvoller Ressourcen, die derzeit an anderer Stelle aufgewendet werden müssen.

Dabei endet die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette nicht beim Anwendungsbereich des „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes“, sondern umfasst auch spezifische Teilbereiche der produktbezogenen Compliance, wie etwa das Stoff- und Chemikalienrecht. Letzteres ist derzeit ebenfalls Gegenstand einer umfassenden Neuorientierung. Die Überarbeitung der REACh- und CLP-Verordnungen kann nach derzeitigem Stand etwa dazu führen, dass auch bislang sicher verwendete Chemikalien beschränkt werden.

Nicht nur zwischen den Geschäftspartnern, sondern auch unternehmensintern ist daher Teamarbeit gefragt. Denn Unternehmen werden aktuelle und künftige Herausforderungen nur durch einen systemischen Ansatz effektiv bewältigen können. Im Idealfall ist man bereits für bestimmte Situationen und Szenarien gerüstet, anstatt auf Reaktionen und Schadensminimierung begrenzt zu sein.


Über den Autor: Niklas Gatermann ist Rechtsanwalt und Associate in den Teams „Mobility“ und „Regulatory Affairs & Marktmaßnahmen“ bei der auf Produkthaftung spezialisierten Wirtschaftskanzlei reuschlaw Legal Consultants. Gatermann berät vorrangig Mandanten aus dem Automotive-/Automobilzuliefererbereich. Seine inhaltlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Produkthaftung, Produktsicherheit, Vertragsrecht, Stoff- und Chemikalienrecht. Er hat Rechtswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und polnisches Recht an der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen studiert.

 


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