26.10.2020 - 08:12

Schluss mit lustig?

Bis kurz vor Corona konnte der Eindruck entstehen, die deutsche Automobilindustrie dreht ihre Konzernstrukturen in Richtung breite Mobilitätsanbieter: Autos, Mobility-Apps, autonomes Fahren und mehr. Inzwischen sieht es offenbar anders aus.

Rollen wir den Komplex mal von hinten auf: „Der Umbau zum Mobilitätsanbieter ist vorerst passé“, erklärte offenbar in der letzten Woche ein Mercedes-Sprecher gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass Uber bis zu einer Milliarde Euro für Free Now, das Joint Venture von BMW und Daimler, auf den Tisch legen möchte, um so das eigene Europa- und Südamerikageschäft zu stärken und gleichzeitig den beiden deutschen OEMs eine Last von den zu bilanzierenden Schultern nehmen könnte. Auch geht das „Gerücht“ um, BMW und Daimler würden ihr Geschäft rund um die Vermittlung von Parkplätzen Park Now verkaufen wollen.

Generell läuft im Bereich „neue Mobilität“ offenbar ein Konsolidierungsprozess. Nach den Jahren eines Goldrauschs, ist das vermutlich nicht unnormal. Bosch gab sein Sharingkonzept Coup auf. Während das Startup Tier die Assets des Rollersharings übernahm. Uber stampfte das Geschäft von Jump Bikes teilweise ein, während das Startup Lime einen Teil übernahm und die eBikes wieder auf die Straße brachte. Hinter dem Wiederausrollen der Jump-eBikes steckt ein etwas größerer Deal aus der ersten Hälfte 2020. Uber beteiligte sich gemeinsam mit der Google-Mutter Alphabet und weiteren Investoren an einer Finanzierungsrunde für Lime. Kürzlich hatte Lime zudem eine neue Plattform angekündigt, die einen erweiterten Zugang zu Sharing-Angeboten bringen soll. Der erste Partner auf der Plattform ist demnach Wheels, der elektrische Miniroller anbietet.

Das BMW-Daimler-Joint-Venture Free Now integriert wiederum – offenbar trotz Verkaufsgesprächen – zahlreiche Sharingservices in die eigene App. So finden sich inzwischen die Angebote von Bond, Miles, Emmy und Voi in der App wieder. Und dann war da ja in der letzten Woche noch ein Deal: BMW und Daimler filetieren das Angebot von Moovel, das zu Reach Now gehört. Das Endkundengeschäft mit einer Mobilitätsapp verbleibt bei Reach Now. Der B2B- und B2G-Bereich von Moovel geht an Mobimeo, eine Tochter der Deutschen Bahn. Clevershuttle, das Startup gehört mit 76% zur Deutschen Bahn, setzt ebenfalls auf Business-to-Government: Nach einem harten Pivot setzt das Startup, das ebenfalls mehrheitlich der Bahn gehört, auf das Geschäft mit Städten und Gemeinden. Mit Darmstadt baut das Unternehmen nun einen elektrischen Ride-Pooling-Verkehr auf und startet ihn unter dem Namen „Heinerliner“. Mit ioki hat die Bahn ein weiteres Unternehmen, das sich im städtischen Verkehr an den ÖPNV dranhängt. Und Mobimeo partnert inzwischen auch mit Sixt Share. Wir erinnern uns? Sixt war aus dem Joint Venture Drive Now mit BMW ausgestiegen und ließ sich das „Good bye“ wohl ordentlich bezahlen. Um kurz darauf mit einem eigenen Sharingservice „Sixt Share“ auf den Markt zu gehen.

Wer in der Gleichung oben bisher nicht auftauchte? Volkswagen. Der Konzern hat mit u.a. WeShare und Moia ebenfalls Mobility as a Service im Angebot. Allerdings ist man als eigenständiger Player unterwegs und hat im Rücken einen CEO, der aktuell zeigt, dass er auf die Zukunft setzt. So stemmte sich Volkswagen in einer  Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf aus dem Bundesumweltministerium, der die EU-Richtlinie zu erneuerbaren Energien im Verkehrsbereich umsetzen soll, gegen die vom VDA propagierten höheren Zielvorgaben für Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe. Herbert Diess könnte Recht behalten, wenn er auf die Ideen für die Zukunft setzt. Der Konzern ist mit einer Plattform für die Elektromobilität gewappnet. Gleichzeitig zeigt sich, dass Mobility as a Service ein weltweiter Trend ist, der womöglich nicht mehr aufzuhalten ist. Städte emanzipieren sich von Verkehrsideen, die das Auto in den Mittelpunkt stellen. National und international vernetzen sich Aktivistinnen und Aktivsten, um einen umweltfreundlichen Verkehr zu etablieren, der den Individualverkehr teilweise infrage stellt. Berlin und Hamburg werden gar zu Reallaboren für neue Mobilitätskonzepte. Gleichzeitig entstehen Firmen, die neue Mobilitäskonzepte, On-Demand-Services, aufbauen.

Software soll bei den Autobauern vieles richten. Im Frühjahr 2020 hieß es da plötzlich, die drei Autobauer BMW, Daimler und Volkswagen könnten den Software-Dreier wagen und gemeinsam an dem Betriebssystem für Fahrzeuge arbeiten. Bisher scheint das aber eine Ente zu sein. Stattdessen arbeiten die OEMs jeweils an neuen Strukturen für ihre Software-Bereiche und propagieren die Idee, jeweils ein eigenes Betriebssystem für Fahrzeuge an den Start zu bringen.

Mercedes Benz, und da sind wir wieder beim Beitrag, den ich zu Beginn dieses Artikels verlinkt habe, denn aus Stuttgart heißt es demnach „Wir wollen begehrenswerte Autos bauen.“ Nicht nur neue Mobilitätskonzepte, sondern auch das autonome Fahren seien durch US-TechFirmen dominiert. Man wolle zwar weiter in Assistenzsysteme investieren, aber weniger auf Innovationen als viel mehr auf Rendite schauen. Dies ist eine Denke, die ich kenne: Ich habe zuletzt in einem Verlag gearbeitet, der sich ganz auf gedruckte Magazine und Bücher konzentrieren wollte. Das war 2010 der Fall – inzwischen ist das Unternehmen ein Schatten seiner selbst. Ich hoffe, bei Daimler und Co. gibt man die neuen Themen nicht auf, sondern schiebt nur ein wenig, weil man mit Digitalisierung und Elektromobilität aktuell zwei Themen hat, die stärker brennen und womöglich auch schneller wieder Geld einbringen.

Autor: Jens Stoewhase, Chefredakteur intellicar.de

ps: Der Beitrag wird gelegentlich überarbeitet und auch erweitert.

 

Autor: jst

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