30.06.2022 - 07:38

Open Source und die Herausforderungen für zukünftige Softwareprodukte im Automotive-Segment

Gastbeitrag von Monika Menz, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Informationstechnologierecht

Rechtsanwältin Monika Menz publiziert mehrere Gastbeiträge exklusiv auf intellicar.de, die sich des Themas Open-Source-Software in der Automobilindustrie widmen. Im dritten Beitrag zeigt Frau Menz auf, welchen Einfluss Open-Source-Software auf die Zukunft der Automobilindustrie haben wird.

Der gesamte Automotive-Bereich befindet sich schon längst in einem grundlegenden Umbruch, der einem Paradigmenwechsel gleichkommt. Die Herausforderungen von Open-Source-Software zeigen sich im Automotive-Segment wie durch ein Brennglas, denn die vier Treiber der digitalen Transformation im Automotive-Bereich, Automatisierung, Connected Cars, Elektrische Fahrzeuge und Mobilitätsservices, sind sämtlich softwarebasiert und verlangen nach hochverfügbaren und vielseitig einsetzbaren, agil anpassbaren Betriebssystemen. In diesem Ökosystem der vernetzten Fahrzeuge bilden zentrale Supercomputer das Rückgrat. Diese Plattform wird durch anpassbare Softwarekomponenten zum Leben erweckt. Die Automobilindustrie hat erkannt, dass Standardisierungen zum einen und Softwareentwicklung zum anderen essenziell sind, um am Automobilmarkt der Zukunft partizipieren zu können.

Auch die traditionelle Wertschöpfungskette im Automotive-Bereich wird sich zunehmend wandeln. Das Auto der Zukunft ist ein cyberphysisches System, in dessen Ökosystem Embedded Software und datengetriebene Services eine prominente Rolle einnehmen. Es gibt enorme Möglichkeiten, die von vernetzten Fahrzeugen generierten Daten zu monetarisieren und zu verwerten. Zu den wichtigsten Bereichen gehören die Fahrzeugdiagnose und -wartung sowie die Personalisierung des Fahrzeugs. Die Fähigkeit, Probleme proaktiv zu diagnostizieren und zu beheben, wird das Fahrzeug in die Lage versetzen, viele Wartungssituationen selbst zu bewältigen und den Besitzern einen Servicebesuch beim Händler zu ersparen.

Aber auch die Fertigung verlässt sich weitgehend durch die Einbindung von Robotics auf cyberphysische Systeme. Software ist also nicht wegzudenken.

Das bedeutet jedoch auch, dass die Automotivebranche in einem bisher nicht gekannten Ausmaß auf Software angewiesen ist. Und Softwareentwickler sind knappe Ressourcen. Open-Source-Software scheint also eine naheliegende Lösung. Und tatsächlich hat die Verwendung von Open-Source-Software im Automotive-Bereich massiv zugenommen. Vorausgesetzt, dass die Open-Source-Software entsprechend ihrer Lizenzbedingungen eingesetzt wird und auch die Lizenzbedingungen erfüllt werden.

Der Schaden, der entsteht, wenn Open-Source-Software nicht compliant verwendet wird, kann gerade im Automotive-Bereich immens sein. Denn bis der Rechtsverstoß geheilt ist, kann unter anderen die gesamte Produktion stillstehen. Oder für Connected Cars können Produktrückrufe drohen – im Rahmen der Lieferkette, die auch zunehmend Softwarekomponenten oder Komponenten mit Embedded Software liefert. In einem solchen Szenario drängen sich Haftungsfragen auf, die mitunter nicht leicht zu beantworten sind. Auf juristischer Ebene lässt sich dieses Risiko am ehesten noch durch vertragliche Vereinbarungen absichern. In der Praxis fehlen aber hierzu häufig entsprechende Regelungen. Auch die Frage, ob es sich bei Software letztlich um ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsrechts handelt, ist noch immer nicht abschließend geklärt. Zwar wird zumindest für Embedded Software mittlerweile von der Produkteigenschaft von Software ausgegangen, für reine Softwarekomponenten ist dies aber nach wie vor unklar. Gerade vor diesem Hintergrund, dass eine Haftungszuweisung mitunter schwierig sein kann, ist also dringend angeraten, hier durch vertragliche klare Regelungen die Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen festzulegen.

Sinnvollerweise sollte eine solche Regelung aber klar durch die Rechte und Pflichten des Zulieferers ergänzt werden. Denn am Ende der Lieferkette muss der OEM die Lizenzpflichten aus der Open-Source-Software auch gegenüber dem Endkunden erfüllen:

Der OEM muss also selbst in der Lage sein, die Lizenzverpflichtungen der Open-Source-Software einzuhalten. Dazu muss er davon Kenntnis haben, die Pflichten kennen und über die Artefakte verfügen, die es ihm ermöglichen, seine Pflichten zu erfüllen.
Er muss sich also zum einen darauf verlassen können, dass sein Zulieferer seine Verpflichtungen aus der Verwendung von Open-Source-Software angemessen steuert, und muss selbst für ein entsprechendes Management sorgen. Open-Source-Software-Compliance-Systeme in der Lieferkette sind also letztlich Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz von Open-Source-Software. Standardisierung spielt auch hier wieder eine entscheidende Rolle, um das nötige Vertrauen und auch die rechtliche Absicherung für den Einsatz von Open-Source-Software zu schaffen. Denn beim Einsatz von Open-Source-Software im Automotive-Bereich ist das Übergreifen von Schäden aus dem Cyberraum in den physischen Raum unmittelbar greifbar und kann zu verheerenden Folgen führen.

Ein weiterer Aspekt, der hinzukommt, ist, dass cyberphysische Systeme besonders bei IT-Sicherheitsvorfällen besonders gefährdet sind. Denn die Hackerangriffe können durch die cyberphysische Verbindung direkt Auswirkungen auf die physische Welt – mit gravierenden Folgen für Leib und Leben – haben. Open Source kann dabei Segen und Fluch zugleich sein. Zwar kann die Community Sicherheitslücken durchaus selbst entdecken und schließen, aber die Lücken sind auch für unethische Hacker offen sichtbar. Ein Monitoring der Community und regelmäßige eigene Scans auf Sicherheitslücken sind daher unverzichtbar.

Und ganz ohne proprietäre Software wird der Automotive-Bereich auch in Zukunft wohl nicht auskommen. Daher ist insbesondere darauf zu achten, dass die proprietäre Software nicht durch OSS-Verpflichtungen selbst zu Open Source und damit auch für den Wettbewerb frei zugänglich wird. Aber bei den Herausforderungen an die Softwareentwicklung im Rahmen der digitalen Transformation der Automotive-Industrie ist es auch nach den Erkenntnissen der großen OEM und Supplier sinnvoll, an für jedermann nutzbaren Komponenten zu arbeiten, um darauf aufsetzend individuelle Entwicklungen leisten zu können, mit denen man sich vom Wettbewerb absetzen kann. Mit einem verlässlichen Open-Source-Management-System setzt damit Open-Source-Software die Ressourcen frei, um im Wettbewerb bestehen zu können.

Über die Autorin: Rechtsanwältin Monika Menz ist Salary Partner, Fachanwältin für Informationstechnologierecht und Co-Head Digital Business Unit bei reuschlaw. Darüber ist sie Lehrbeauftragte für IT-Recht am Hasso-Plattner-Institut sowie zertifizierte Datenschutzbeauftragte.

Autor: jst

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30.06.2022 07:58