18.01.2022 - 16:33

CES – ein Heimspiel oder „Homerun for Autonomous Driving“?

Marco Dargel ist Partner bei der P3 Group und verantwortet den Bereich autonomes Fahren. Für intellicar.de hat er die zurückliegende CES in Las Vegas Revue passieren lassen und nimmt eine erste Einordnung vor.

Die CES 2022 ist vorüber und wie immer bestimmte sie die Schlagzeilen der ersten Wochen des neuen Jahres. Interessant zu beobachten ist, wie stark hier neben den seit jeher interessierten Fachmedien der Unterhaltungselektronik auch zunehmend die gesamte Automobilindustrie und insbesondere die Community des autonomen und vernetzten Fahrens in den Bann gezogen werden.
Was aber bleibt knapp zwei Wochen nach dem Abschluss der CES und welche Schlüsse lassen sich durch aus den Ankündigungen und Präsentationen der Automobilindustrie speziell für den Bereich autonomes Fahren und Connectivity ziehen?

Der Fokus aller Aussteller war klar auf die Digitalisierung und das autonome Fahren ausgerichtet. Das „Software-defined-Car“ wird aber vermehrt von neuen Tech-Playern (Microsoft, Google/Waymo, Sony, Qualcomm, Nvidia, Intel etc.). getrieben und die OEMs laufen Gefahr ins Hintertreffen zu geraten.

Natürlich hilft hier die geografische Nähe zwischen Silicon Valley und Las Vegas; die angesprochenen Player haben allerdings auch inhaltliche Stärken aufzuweisen nicht nur ihre Software Kompetenz selbst, sondern die Denke aus einer Software-Perspektive, die eine Entwicklungs-Disruption gegenüber den bestehenden Automobilherstellern darstellt, wie z.B. das vorgestellte Digital Chassis System von Qualcomm.

Das Automobilgeschäft entwickelt sich stetig weiter zu einem Software-Game; digitale Attribute (z. B. Performance und Usability von Infotainment- oder Fahrassistenzsystemen) werden zunehmend zu differenzierenden Faktoren beim Autokauf. In diesem veränderten Spiel haben die erwähnten Tech-Player einen natürlichen und entscheidenden Vorteil gegenüber der seit jeher stark an Hardware und Mechanik orientierten europäischen OEMs und Zulieferern. So sind die von Nvidia, Qualcomm und Mobileye vorgestellten neuen Generationen von Chips in umfassendere und leistungsfähigere Software-Systeme eingebettet – auch bekannt als „System-on-a-Chip“ (SoCs).

Natürlich rücken auch die Automobilhersteller ihre elektronischen Innovationen in den Vordergrund, wie beispielsweise die neuen Infotainment Systeme von BMW und Volvo sowie das neue Bedienkonzept von Mercedes in der Studie EQXX zeigen. Hier kann man klar erkennen, dass die OEMs trotz der Partnerschaften mit den Technologiekonzernen ihre eigenen Kompetenzen im Bereich Elektronik weiter ausbauen, um mit eigenentwickelten Architekturen ebendiese Technologie-Player zukünftig auszusteuern und ihre Abhängigkeit begrenzen zu können.

Dabei wird Tesla von den führenden OEMs als Benchmark akzeptiert, weswegen insbesondere der starke Ansatz mit hohen Entwicklungseigenanteil („Insourcing“) hier vielen als Vorbild gilt. Das zeigt sich am Beispiel von General Motors, welche für die Umsetzung ihres neues Ultra Cruise Level 2+ Systems zwar auf Qualcomm und seine Snapdragon Ride Plattform setzt, aber eben auch eigene bewährte Sensoren seines Tochterunternehmens GM Cruise verbaut und somit die Hoheit über die eigene Architektur erhält.

Das Thema autonomes Fahren steht neben der Machtverschiebung zwischen Automobilherstellern und Technologieunternehmen in vielen Bereichen weiter in der Halteposition. Trotz der Ankündigungen von GM, „Mitte der Dekade“ autonome Privat-Pkw anzubieten, ist der erlebte Fortschritt weiterhin überschaubar und weiter hinter jenen Zeitplänen, die von allen Marktteilnehmern vor fünf Jahren angekündigt wurden. Das liegt vor allem daran, dass die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Systeme zwar immer besser werden; so konnte beispielsweise Luminar auf dem CES Testgelände zeigen, dass ihr Lidar-Sensor selbst hinter Autos versteckte Kinder entdecken kann.

Die große Hürde liegt allerdings in der breiten systemischen Zuverlässigkeit in einem nahezu unendlichen Anwendungsbereich, die unbedingt erreicht werden muss, um eine ausreichende Sicherheit von Insassen und anderen Verkehrsteilnehmern zu gewährleisten. Sollte dieses Unterfangen zu aufwändig sein, könnten Einschränkungen dieser Anwendungsbereiche (wie z.B. Geschwindigkeit, Straßentypen usw.) eine andere Lösung darstellen. Die daraus resultierenden verfügbaren „Level 3“ Funktionen spielten aber auf der CES kaum eine Rolle, wohl auch weil der zusätzliche Nutzen im Vergleich zu den hohen Aufpreisen begrenzt erscheint.

Abseits der klassischen Pkw zeigen sich dennoch viele Lichtblicke: Bei der „Indy Autonomous Challenge“ im Rahmen der CES traten verschiedene Teams internationaler Universitäten an: In einem spektakulären Rennen sicherte sich das Team der Polimove der Uni Mailand vor der Technische Universität München (TUM) den ersten Platz. Wir erinnern uns: Vor 15 Jahren – 2007 – bei der Darpa Challenge traten ebenfalls Studententeams zu einem Rennen mit autonomen Fahrzeugen quer durch die Wüste an. Dieses Rennen wurde damals zum Urknall des autonomen Fahrens, brachte viele der heute führenden Unternehmen und Köpfe hervor (u.A. Waymo, Argo.AI, Aurora, Nuro, Zoox) und gab der Branche damit die entscheidende Zündung. Warum sollte es diesmal anders sein? Ein vielversprechendes Start-up ist dem Team der TUM schon entsprungen – driveblocks.ai.

Aber auch außerhalb der Rennstrecke gibt es weitere Industrien, für die das autonome Fahren entscheidend und die Anwendungsfälle günstiger als beim Privat-PKW sind. So zeigte John Deere seinen autonomen Traktor, der noch in diesem Jahr verfügbar sein soll. TuSimple hatte schon vor der CES seine erste erfolgreiche Fahrt ohne Fahrer auf öffentlicher Straße über 80 Meilen gemeldet. Auch im „Last-Mile Delivery“ Bereich stehen die Zeichen auf Durchbruch: Nuro zeigten seinen neuen Delivery Bot, der von BYD North America bald in Serie hergestellt wird, Udelv präsentierte seinen autonomen Transporter, der mit dem Mobileye Selfdriving-System ausgestattet ist und die Hyundai-Tochter Motional kooperiert mit Uber Eats, um einen autonomen Lieferdienst in Santa Monica ab Anfang 2022 zu pilotieren.

Eingeschränkte und überschaubare Anwendungsbereiche, wie Felder sowie bestimmte (Transit-)Routen, werden die ersten Anwendungsbereiche vom Autonomen Fahren sein, hier ist eine ausreichende Zuverlässigkeit schneller zu erreichen. Zusätzlich und bedingt durch den hohen Kostendruck und die fehlende Verfügbarkeit von Fahrern ist hier kurzfristig mit einem Durchbruch zu rechnen, wohl noch viel früher als im Privat-PKW Bereich. Dabei sind auch hier wieder die genannten Tech-Unternehmen aktiv (Udelv setzt auf Mobileye, John Deere u.a. auf Nvidia, Nuro ist selbst führendes Technologie Startup, welches aus Google hervorgegangen ist.)

Die CES war damit wieder einmal Schaufenster und Gradmesser für die Automobilbranche im Bereich vernetzter und autonomer Mobilität in allem was präsentiert wurde oder auch gerade nicht. Die Neuerungen und Kooperationen gehen dabei stetig voran, große Durchbrüche stehen aber noch aus. Allerdings werden diese wohl zuerst in Transport und Service-Anwendungen kommen als im Privat-Pkw. Auch die kaum vertretenen chinesischen Hersteller und Technologie-Player sind hier nicht zu unterschätzen (Geely Tochter Zeekr kündigt ganz nebenbei an, schon bald maßgeschneiderte Fahrzeuge für Waymos Robotaxi Flotte zu liefern). Es wird also ein spannendes Mobilitätsjahr 2022!

Über den Autor: Marco Dargel verantwortet bei der P3 als Partner den Bereich Autonomous Mobility. Nach seinem Studium im Maschinenbau und Innovationsmanagement in Esslingen und Singapur begann er seine berufliche Laufbahn in der strategischen Produktplanung der Zulieferindustrie. 2010 ist Marco Dargel in die P3 eingestiegen und hat zunächst das Kompetenzfeld Kostenmanagement maßgeblich aufgebaut und fachlich in den Bereich M&A (technologische Transaktionsberatung) weiterentwickelt. Aktuell treibt er die Weiterentwicklung der P3 Kompetenz im Bereich autonome Mobilität voran. Mit seinem Team berät er nicht nur weltweit führende OEMs und Zulieferer in diesem Feld, sondern deckt das gesamte Ökosystem der neuen autonomen Mobilität bis hin zu Städten, Versicherungen als auch Urban Air Mobility Start-ups ab.

Las Vegas Foto: PixaBay/PatternPictures

Autor: jst

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18.01.2022 16:46