Berlkönig vor dem AUS?
Der Senat von Berlin zeigt wenig Gespür für neue Mobilität

Nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegels steht das On-Demand-Projekt Berlkönig vor dem AUS. Der Berliner Senat sperrt sich offenbar gegen die Weiterführung des Projekts. Damit sind den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Hände gebunden. Das Projekt könnte somit schon im April 2020 beerdigt werden.
Der Berlkönig ist ein Kooperationsprojekt zwischen den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und ViaVan – einem Joint Venture zwischen Mercedes Benz Vans und dem US-Startup Via. Die BVG hat 2018 vom Berliner Senat eine Erprobungsgenehmigung für insgesamt vier Jahre erhalten. Sie ist Halter der Fahrzeuge. ViaVan stellt die Fahrer und bringt die Softwareplattform ein für den App-basierten Ridepooling-Service.
Zuletzt wurde viel über den Ausbau des auf Teile der Berliner Innenstadt begrenzten Bediengebiets diskutiert. Denn das kleine innerstädtische Testgebiet war ein oft angeführter Kritikpunkt gegen den Berlkönig. Inzwischen gab es bereits im August 2019 eine Serviceerweiterung. Mit „Berlkönig BC“ wurde ein Testgebiet am Berliner Stadtrand hinzugefügt. Die zum Jahresende ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende der BVG Sigrid Nikutta hatte im Abschiedsinterview mit der Berliner Zeitung noch deutlich bekräftig, wo sie die Zukunft des On-Demand-Services sieht: „Wir sprechen auch darüber, ob der Berlkönig in den neuen Verkehrsvertrag mit dem Land, der ab 2020 gilt, übernommen wird. Unser Ziel ist es, dass er ein reguläres BVG-Angebot wird, das sich als Teil der Daseinsvorsorge auf das gesamte Berliner Stadtgebiet erstreckt, auch auf die Außenbezirke. Wir wollen es ja nicht bei dem Pilotprojekt belassen.“
Sigrid Nikutta ist seit 2020 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bahn. Dort verantwortet sie das Ressort Güterverkehr und ist Vorstandsvorsitzende von DB Cargo. Die Meinung ihres ehemaligen Teams hat sich jedoch nicht geändert. So lässt sich ein Sprecher der BVG gegenüber intellicar.de mit den Worten zitieren: „Wir halten den BerlKönig für eine sehr gute, moderne Ergänzung des klassischen Hochleistungs-ÖPNV mit Bussen und Bahnen. Er ist also kein Ersatz für Bus und Bahn, ebenso wenig, wie Bus und Bahn das Angebot des BerlKönigs abdecken können.“
Blick über den Tellerrand
Mit einem Blick über den Tellerrand würde der Berliner Senat auch die sinnvollen Optionen für solch einen Pooling-Service erkennen können. So konnte ioki, ein neues Mobilitätsangebot der Deutschen Bahn in Hamburg, mit einer aktuellen Studie zeigen, wie sich das On-Demand-Angebot in den Hamburger ÖPNV einfügt und ob es positive Effekte gibt.
Jedes ioki-Shuttle ist ein öffentliches Verkehrsmittel ohne festen Fahrplan oder Linien, das vollständig in den Tarif des Hamburger Verkehrsverbund (HVV) integriert ist. Fahrgäste mit ähnlichen Routen werden mit Hilfe eines Algorithmus automatisch zu Fahrgemeinschaften gebündelt und gemeinsam befördert. Im Bediengebiet am Hamburger Stadtrand wurden in Abständen von nicht mehr als 200 Metern zusätzliche Haltepunkte eingerichtet. Seit Juli 2018 haben bereits rund 300.000 Fahrgäste das Angebot genutzt.
Laut der Studie lassen sich 72 Prozent der Befragten zur nächstgelegenen ÖPNV-Haltestelle oder einen Bahnhof fahren bzw. von dort abholen. Jeder vierte Fahrgast ersetzt die Fahrt mit dem Pkw durch den individuellen Shuttle-Service. 50 Prozent der Fahrgäste nutzen das Angebot täglich. 85,7 Prozent der Fahrgäste, die ioki Hamburg aus Sicherheitsgründen nutzen, sind weiblich – eine Zahl die wichtig, aber nicht unbedingt positiv zu werten ist. 88 Prozent der Fahrgäste besitzen eine HVV-Zeitkarte.
Der Berlkönig in Zahlen
Auch die Zahlen für den Berlkönig können sich sehen lassen. Auf Nachfrage der Redaktion bekamen wir folgende Infos. Bisher wurden bereits über 1,4 Millionen Fahrten absolviert. In der Flotte sind 185 Fahrzeuge, davon über die Hälfte inzwischen vollelektrisch. Bis Ende 2020, so der Plan zumindest, soll die Flotte komplett vollelektrisch sein. Bei den Fahrgästen liege man bei einer Bewertung von 97 Prozent gut oder sehr gut. Die BVG geht bereits jetzt davon aus, dass der BerlKönig heute schon das Verkehrsaufkommen in Berlin reduzieren würde. So liege der Anteil gebündelter Fahrten inzwischen bei 59 Prozent, in Spitzenzeiten sogar bei bis zu 70 Prozent. Der Anteil geteilter Fahrten, mit zwei oder mehr Fahrgästen im gleichen Fahrzeug, lag im Dezember 2019 bereits bei 84 Prozent und in Spitzenzeiten sogar bei 95 Prozent.
Berliner Senat zeigt wohl wenig Interesse
Laut Tagesspiegel ist für 13. Februar eine Koalitionsrunde zum Thema Berlkönig terminiert. Aktuell gelten demnach sowohl die SPD als auch die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther als nicht überzeugt vom Projekt Berlkönig. Im Worst-Case-Szenario könnte das ein AUS für den Service bereits im April bedeuten. Dann läuft eine letzte Vertragsverlängerung zwischen der BVG und ViaVan aus.
Das politische Gezerre um den Berlkönig zeigt wieder deutlich, wie wenig der Berliner Senat für neue Mobilitätskonzepte übrig hat. Verschläft man beim Start neuer Carsharer, Bikesharer und Scootersharer eine sorgfältige und sinnvolle Inbetriebnahme der Flotten durch entsprechende Regulierungen und Vorgaben, so sucht man für das Thema Ridepooling auch keine neuen Wege oder setzt sich sinnvoll damit auseinander. So kooperiert die BVG eher mit dem internationalen Startup ViaVan für den BerlKönig, obwohl in der Hauptstadt auch das Startup Door2door mit seinem Shuttle-Bus-Service allygator lange vor dem BerlKönig Tests absolvierte.
Der in Berlin ansässige Anbieter Moia (Volkswagen-Tochter) hat für seine Services bisher keine Genehmigung in der Hauptstadt erhalten. Man startete in Hannover und Hamburg. In der Hansestadt setzte Moia sogar von Beginn an auf rein elektrische Busse, die im Volkswagen-Konzern explizit für solche Services entwickelt und gebaut werden. Und das, obwohl Moia seine Firmenzentrale ausgerechnet in Berlin ansiedelte.
In Berlin war die Senatsverwaltung offenbar bei der landeseigenen BVG nicht in der Lage auch den Berlkönig von Beginn an eine Ausnahmegenehmigung an eine ausschließliche Nutzung elektrischer Fahrzeuge zu koppeln. Stattdessen lässt sich Tino Schopf, der verkehrspolitische Sprecher der regierenden SPD in Berlin, zitieren: „Das Kerngeschäft der landeseigenen BVG sollte die breite Nutzerorientierung im Rahmen der Ausgestaltung von Beförderungsangeboten bleiben. Gerade in Zeiten, in denen die Personalräte sich in offenen Briefen an den Vorstand der BVG wenden und von einer ’schwierigen Lage‘ bzw. ‚dramatischen Situation‘ sprechen, sollte der Fokus auf dem Brot- und Buttergeschäft liegen.“
Berlin nutzt Optionen nicht
Was dabei die Posse ist? Man hätte dem Berlkönig-Projekt über die Sondergenehmigung von Beginn an Auflagen machen können – als SPD in der rot-rot-grünen Landesregierung zum Beispiel. Zuletzt hatte die Volkswagen-Tochter WeShare selbst erklärt, dass es in Städten wie Hamburg und München fast Zugangsvorraussetzung gewesen sei, mit einer vollelektrischen Flotte anzutreten. Es zeigt sich also, dass es wohl Optionen seitens der Stadtverwaltungen gibt, Einfluss auf die technischen Aspekte einer Fahrzeugeflotte zu nehmen.
Gleichzeitig wurde der Berlkönig auch kritisiert, weil er zusätzlichen Autoverkehr generieren würde. Auf der anderen Seite gibt es bereits länger Forderungen nach einer vollständigen Parkraumbewirtschaftung innerhalb des Berliner S-Bahnringes. Der Senat und die Bezirke nutzen diese Option des bewussten Verteuerns und damit der Eindämmung von individuellem Fahrzeugverkehrs nur zögerlich. So soll das Parken im Bereich innerhalb des S-Bahnrings erst 2023 komplett kostenpflichtig werden. Die Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises bei bis zu zweijähriger Geltungsdauer beträgt in Berlin zur Zeit nur 20,40 Euro. Allerdings könnten Kommunen – und somit auch die Stadt Berlin – durchaus für den Bewohnerparkausweis bis zu 30,70 Euro pro Jahr verlangen. Da wird dann auch die Tariferhöhung bei der BVG nur noch zur Randnotiz. Die Berliner Politik plädiert zwar mediengerecht für den Ausbau und eine Stärkung des ÖPNV. Gleichzeitig lässt man es jedoch zu, dass die Fahrpreise weiter angezogen werden.
Berlin würde auch nach dem potentiellen AUS für den Berlkönig ein Hotspot und Reallabor für neue Mobilität bleiben. Allerdings ist dafür weniger der Senat als vielmehr der privatwirtschaftliche Einsatz verantwortlich. Mobilität sollte in der Stadt immer weitergedacht werden. Da schadet es auch nicht, wenn man neue Projekte fördert und bereits sich anbahnende Probleme frühzeitig mit stringenter Regulierung vom Tisch bekommt.
Autor: Jens Stoewhase
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